Globale Solidarität braucht Praxis. Und Vernetzung!

Anlässe für internationale Solidarität gibt es aktuell genug: u.a. mit den Menschen im Sudan, die vor dem Machtkampf der Generäle fliehen; mit den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien, die den Machthabern egal sind; mit den Menschen in der Ukraine, die täglich vor Russlands Bomben Schutz suchen; mit den Rohingya, die innerhalb und außerhalb von Myanmar terrorisiert werden; mit den Frauen und Menschen im Iran und Afghanistan, die von religiösen Regimes unterdrückt werden; mit den Bevölkerungen in vergessenen Kriegen wie in Äthiopien, Syrien, Jemen und der Demokratischen Republik Kongo; mit fallengelassenen Gesellschaften wie dem Irak, Libyen und Somalia; mit Gemeinschaften, die seit Jahrzehnten ohne staatliche Souveränität und internationale Anerkennung sind und deswegen Gewalt, Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt sind; mit Geflüchteten weltweit, die überall unerwünscht sind, als Gefahr gebrandmarkt werden, statt ihnen Recht, Schutz und Unversehrtheit zukommen zu lassen…
Die internationale Gemeinschaft antwortet auf diese humanitären und politischen Krisen und Katastrophen in keinem Fall egalitär, universalistisch und kompromisslos. Vielmehr ist diesbezügliches internationales und staatliches Verhalten in Form von diplomatischen Initiativen, materiellen, finanziellen und politischen Anstrengungen stark von Geschichte, Interessen, Allianzen, ökonomischen und strategischen Faktoren abhängig. Rassismus und Chauvinismus entscheiden zudem über die internationale Aufmerksamkeit oder eben die Ignoranz bei einzelnen Konflikten, Krisen und Kriegen. Diese Einflüsse bestimmen die Intensität politischer Initiativen und kollektiven Handelns.
Mit Blick auf staatliches, internationales Handeln ist Skepsis angebracht, ob ein Appell zu wahrer globaler Solidarität fruchtbar ist – trotz des Versprechens der internationalen Staatengemeinschaft 2015 im Rahmen der UN-Agenda 2030: „Wir versprechen auf dieser gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen“…
Neben den Menschen selbst, die für ihre Rechte, Selbstbestimmung und Freiheit kämpfen, sind es oft Diaspora-Gemeinschaften, die auf Menschenrechts- und Frauenrechtsverletzungen, auf Gewalt, Vertreibung und Verfolgung hinweisen, bei humanitären Katastrophen Spenden sammeln und politische wie mediale Aufmerksamkeit erwirken. Die Erfahrungen im Kontext des verheerenden Erdbebens in der Türkei und Syrien zeigen, dass auch weit entfernte Nachbarschaften und Schulen zu beeindruckenden Spenden- und Solidaritätsaktionen in der Lage sind. Im Rahmen von Russlands Krieg in der Ukraine sind darüber hinaus viele Städtepartnerschaften aktiv in der Unterstützung und Aufnahme von Ukrainer*innen geworden.
Im Allgemeinen jedoch ist internationale, zivilgesellschaftliche Solidaritätsarbeit fragmentiert und auf einzelne Länder, Gruppen bzw. auf die Abschaffung einzelner repressiver Regimes ausgerichtet. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Situationen treibt uns die Frage um, wie so etwas wie globale Solidarität, die über die „Einzel-Solidarität“ hinausgeht, organisiert und konkret ausbuchstabiert werden kann? Wie gelingt es Aktivist*innen und verschiedenen Initiativen, näher zusammenzustehen und besser bzw. politisch erfolgreicher zusammenzuarbeiten? Wie lässt sich das Gemeinsame in den so unterschiedlichen Kämpfen stärken?
Zu Beginn der Veranstaltung wollen wir uns von Alexander Behr, Autor des Buches „Globale Solidarität. Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen“ (https://www.oekom.de/buch/globale-solidaritaet-9783962383701) informieren lassen: Was sind ganz konkrete „Zutaten“ für globale Solidarität? Macht es Sinn nachzufragen, wer denn eigentlich die Feinde der Solidarität sind, um sodann mit dieser Erkenntnis erfolgreicher agieren zu können? Ist ein produktiver Weg, mehr über das Verhältnis von Solidarität und Transformation nachzudenken, um die so dringend benötigte ökologische und soziale Transformation vor-anzubringen?
Es gibt Anknüpfungspunkte übergreifender Solidarität: So wie sie sich zum Beispiel in dem Austausch syrischer und ukrainischer Aktivist*innen angedeutet hat, die sich über die Erfahrung der Unterdrückung und Russlands Rolle in den Kriegen ausgetauscht haben. Sie zeigt sich in gemeinsamen Demos von Ukrainer*innen und Iraner*innen, in gemeinsamen Veranstaltungen von afghanischen und iranischen Aktivist*innen, in Gedenkveranstaltungen für türkische und syrische Opfer des Erdbebens, aber auch thematisch in Bezug auf Klimakämpfe oder einen internationalistischen 8. März 2023, den Frauen und LGBTQ+-Aktivist*innen sehr global ausgerichtet hatten. Einige Erfahrungen davon wollen wir bei der Jahresveranstaltung vorstellen. Und wir wollen kritisch nachfragen und diskutieren, wie sich bundesdeutsche Zivilgesellschaft und NRO verändern müssen, um wieder bzw. noch solidarischer zu werden bzw. „vereinter“ globale Solidarität auszuüben. Eine offene Frage ist auch, ob zunehmende Professionalisierung und „NGO-isierung“ in der Zivilgesellschaft, den Initiativen und Bewegungen zu mehr Entfernung von Kämpfen und Bewegungen geführt haben? Lassen sich Ungerechtigkeiten und Unterdrückung mit Projektmanagement, Überwältigungsverbot und Energizern beikommen? Geht Solidarität eigentlich vom Schreibtisch aus, aus Seminarräumen und Hochglanzbroschüren…? Braucht es hier einen Praxiswechsel und was sind die Erwartungen an die entwicklungspolitischen Vereine und Verbände?

Programm

15.00 Uhr // Begrüßung durchKarin Schüler, Vorstand Stiftung Nord-Süd-Brücken

15.10 Uhr // Was brauchen Initiativen/Projekte „Globaler Solidarität“, um erfolgreich zu sein?
Eine Theorie/Praxisanleitung von Alexander Behr, Autor, Aktivist, Wissenschaftler 

15.25 Uhr // Erwartung an eine feministische Entwicklungspolitik aus Sicht von VENRO
Wie geht globale Solidarität in der Praxis? Und was braucht es dafür? Erfahrungen aus der Praxis:
Je 10 Minuten Input:
Diaspora-Engagement – gelebte globale Solidarität
Lina Fustok, Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine, Berlin
Ein Segelschiff für selbstorganisierte Bildungsräume und transnationalen Austausch
Quelili-Kollektiv, Leipzig
Wie geht Solidarität in einer Kleinstadt
Christian Mädler, Freiberger Agenda 21 e.V.
Gemeinsame Diskussion
 
16.30 Uhr // Kaffeepause

17.00 Uhr // Podiumsdiskussion
Es diskutieren:
Sanaz Azimipour, „Frau.Leben.Freiheit“-Kollektiv, Berlin
Akinola Famson, Afrikarat Berlin-Brandenburg
Monika Dülge, Eine-Welt-Netz NRW

18.00 Uhr // Ausklang bei Finger Food

Moderation: Andreas Rosen

Programm zum Download


Hinweise:

  • Diese Veranstaltung steht im Kontext mehrerer Aktivitäten, die die Stiftung Nord-Süd-Brücken 2022 gemeinsam mit dem Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen e.V. (ENS), weiteren Landesnetzwerken und Vereinen zum Thema „Globale Solidarität“ begonnen hat und die wir gemeinsam 2023 fortsetzen.
  • Die Stiftung Nord-Süd-Brücken unterstützt die Kampagne „Greifswald sagt Ja zu Solidarität“, weil diese u.a. von geförderten Vereinen in Greifswald getragen wird, mit denen wir einer Meinung sind, dass Geflüchtete unbedingt und jederzeit unsere Solidarität verdienen. Mehr Infos hier: https://linktr.ee/greifswald_sagt_ja